Proteste gegen AfD-JugendVerwaltungsgerichtshof bestätigt Demoverbotszone in Gießen

Die Stadt Gießen hat sich mit einer versammlungsfeindlichen Demoverbotszone im gesamten Westteil der Stadt durchgesetzt, wo am Samstag der neue Jugendverband der AfD gegründet werden soll. Durch die Entscheidung wird Protest in Hör- und Sichtweite der Rechtsradikalen deutlich erschwert. Ein Eilantrag der Linken beim Bundesverfassungsgericht scheiterte.

Karte von Gießen, westlicher Teil rot eingefärbt, auf den Messehallen ein brauner Punkt mit Aufschrift AfD
Mit der Bestätigung der Verfügung der Stadt Gießen sind alle Gegenproteste in den Ostteil verlegt worden, dadurch entsteht faktisch eine Demoverbotszone rund um die AfD-Veranstaltung. netzpolitik.org / ODbL

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat am Freitagabend die Demoverbotszone der Stadt Gießen bestätigt – und damit auch Beschlüsse des Verwaltungsgericht Gießens wieder kassiert. Damit darf keine Versammlung – weder Demonstration noch Kundgebung, Mahnwache oder Protestcamp – auf der Westseite der Stadt Gießen und damit in der Nähe der rechtsradikalen AfD-Veranstaltung stattfinden. Einzig und allein der Protest des Adenauer-Busses, der auf einem Privatgelände in der Nähe der Messe steht, ist bislang nicht verboten worden. Zudem ist in der mehr als zwei Kilometer von der Messe entfernten Gemeinde Heuchelheim eine Demonstration weiterhin erlaubt.

Zehntausende Menschen einer breiten politischen und bundesweiten Mobilisierung werden am Samstag zu Protesten gegen die AfD-Jugend in Gießen erwartet. Das Treffen der Rechtsradikalen findet in den privat geführten Messehallen im Westteil der Stadt statt. Gießen wird durch den Fluss Lahn in einen Ost- und Westteil getrennt. Die Stadt hatte am Dienstag die Versammlungen gegen die Rechtsradikalen wegen Sicherheitsbedenken per Verfügung auf die Ostseite verlegt. Dagegen wehrten sich die Anmelder:innen, unter anderem weil ein Protest in Hör- und Sichtweite des AfD-Treffens so nicht möglich sei.

Protest auf die andere Seite des Flusses verschoben

Während das Verwaltungsgericht Gießen am Donnerstag einige Versammlungen wieder am geplanten Ort erlaubte, hat nun die höhere Instanz, der Hessische Verwaltungsgerichtshof, die Auflagen der Stadt und damit eine faktische Demoverbotszone im Westen der Stadt bestätigt.

In einer Pressemitteilung des Gerichts (PDF) heißt es, dass auch auf der gegenüberliegenden Seite der Lahn ein Protest in Hör- und Sichtweite möglich sei. Zudem schreibt das Gericht:

Hinsichtlich der Versammlungen [..] spreche mit Blick auf die Ortsverlegungen ebenfalls Überwiegendes dafür, dass die Gefahrenprognose der Stadt Gießen rechtmäßig sei. Jedenfalls gehe aber eine aufgrund der Kürze der Zeit vorgenommene Folgenabwägung wegen Gefahren für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer, der eingesetzten Polizei- und Rettungskräfte sowie unbeteiligter Dritter zu Gunsten der Verlegung des Versammlungsortes aus.

Gegen den Beschluss kann nur noch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Eilantrag gestellt werden. Bislang ist nicht bekannt, ob einer der Anmelder:innen dies tut. Eine kurzfristige Presseanfrage an den Anwalt blieb am Abend unbeantwortet.

Update 23 Uhr: Der Kreisverband der Linken in Gießen hat nun einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die Kundgebung der Linken in der Nähe der Messehalle doch noch zu ermöglichen. Der Bundestagsabgeordnete Luke Hoß (Linke) unterstützt den Antrag. Er sagt gegenüber netzpolitik.org, dass es Aufgabe von Staat und Polizei sei, Versammlungen zu ermöglichen, nicht Einschränkungen bis ans Limit zu treiben oder gar zu verbieten. „Dass rund um die Hessenhalle nun eine widerspruchsfreie Zone für Rechtsextreme geschaffen werden soll, ist ein fatales Zeichen für unsere Demokratie. Protest darf und soll stören“, so Hoß weiter.

Update 29.11. – 16 Uhr: Das Bundesverfassungsgericht hat laut einer Mitteilung des linken MdB Luke Hoß den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Verlegung der Kundgebung in Gießen abgelehnt. Uns liegt die Ablehnung mittlerweile vor.

Luke Hoß kommentiert gegenüber netzpolitik.org: „Damit gab es keinen sicht- und hörbaren Kundgebungsort in der Nähe des Veranstaltungsortes, an dem gerade eine faschistische Jugendorganisation gegründet wird. Es kann nicht sein, dass Rechtsextreme unwidersprochen aufmarschieren dürfen! Wir kritisieren diese massiven Eingriffe in die Versammlungsfreiheit als unverhältnismäßig und als Verletzung von grundlegenden demokratischen Prinzipien.“

„Widersetzen“ kündigt zivilen Ungehorsam an

Ungeachtet der faktischen Demoverbotszone ist davon auszugehen, dass Menschen versuchen werden, auch im Westteil der Stadt zu protestieren. So hat das Bündnis Widersetzen (Ticker / Mastodon) zu Aktionen des zivilen Ungehorsams und Blockaden der AfD-Veranstaltung aufgerufen.

Gegenüber netzpolitik.org kritisierte Rieka Becker, Sprecherin von Widersetzen, die Kundgebungsverbote scharf: „Die Proteste haben ein Recht auf Sicht- und Hörweite zur Veranstaltung der AfD – es handelt sich um einen verfassungswidrigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit, mit dem der unverhältnismäßigen Panikmache der Behörden nachgegeben wird.“ Das Bündnis Widersetzen werde sich aber nicht abhalten lassen, so Becker weiter: „Wir machen von unserem Recht auf zivilen Ungehorsam Gebrauch und werden uns morgen zu Tausenden dem Faschismus widersetzen.“

„Gericht und Stadt treten Grundrechte mit Füßen“

Ein Sprecher des Zentrums für politische Schönheit, das mit dem Adenauer-Bus in der Nähe der Halle steht, sagt gegenüber netzpolitik.org: „Wir sind fassungslos, dass wir jetzt die einzige Kundgebung sind, die überhaupt noch in der Nähe der Nazi-Veranstaltung möglich ist.“ Der Hessische Verfassungsgerichtshof erspare sich eine vernünftige Güterabwägung und folge unkritisch der fragwürdigen Gefahrenprognose der Polizei. „Gericht und Stadt treten die Grundrechte von zehntausenden Demonstranten mit Füßen. Den Schaden hat unsere Demokratie“, so der Sprecher weiter.

Schon am Dienstag hatte David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) die Verfügungen der Stadt Gießen gegenüber netzpolitik.org kritisiert: „Die Versammlungsfreiheit umfasst auch die freie Wahl des Ortes, dem insbesondere bei Gegenprotesten eine besondere Bedeutung zukommt.“ Der kommunikative Zweck einer Versammlung würde nur erreicht, wenn die Proteste in Sicht- und Hörweite ihres Gegenstandes – hier die Gründungsversammlung der AfD-Jugend – stattfinden könnten, so Werdermann. „Versammlungsfreie Zonen mögen zwar aus polizeitaktischer Sicht praktisch sein, sind aber unter Berücksichtigung der Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig.“

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Großeinsatz der Polizei

Zu den Protesten gegen die AfD werden laut Innenministerium und Polizei mehr als 50.000 Menschen erwartet. Gesichert dürfte sein, dass mindestens 10.000 Menschen mit Bussen aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen, hinzu kommen die Gießener:innen, die zuletzt im Februar bei einer Demonstration gegen den Rechtsruck alleine 13.000 Menschen auf die Straße gebracht haben. Angekündigt sind neben klassischen Demonstrationen auch Aktionen des zivilen Ungehorsams wie Straßenblockaden. Insgesamt sind laut Polizeiangaben 20 Versammlungen gegen die AfD-Jugend angemeldet.

Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz mit laut Medienberichten 6.000 Polizist:innen sowie schwerem Gerät wie Wasserwerfern, Räumpanzern und Spezialfahrzeugen vor. Sie spricht von einem „herausfordernden Wochenende“, von verschiedener Seite wird das Schreckgespenst von Gewalt an die Wand gemalt, obwohl sich alle aufrufenden Bündnisse gegen eine Eskalation ausgesprochen haben.

Karte mit Protestaktionen

(nicht von netzpolitik.org gepflegt, keine Gewähr)

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11 Ergänzungen

  1. Dass die Stadt sich mit der Demoverbotszone durchgesetzt hat ist die Konsequenz des staatlichen Auftrags, Versammlungen zu ermöglichen. Es ging einer ganzen Reihe Demo-Organisatoren ganz explizit und klar kommuniziert um das Verhindern der AfD-Versammlung. Das kann man sogar als legitim ansehen, Rechtsradikale sind zu bekämpfen. Aber der Staat als Grundrechtegarant für alle Bürger, auch die rechtsradikalen, kann das nicht zulassen. In so fern ist das ein sinnvolles Ergebnis.

    Bei den Meldungen immer wegzulassen, dass es hier nicht nur um „Demonstration“ sondern auch explizit um „Blockade & Verhinderung“ geht halte ich übrigens für eine Verletzung journalistischer Standards.

    1. Nur weil es Ankündigungen weiterer Bündnisse gibt, die AfD-Veranstaltung zu verhindern und zu blockieren, kann man trotzdem nicht alle Versammlungen über einen Kamm scheren. In den Artikeln steht übrigens, dass auch ziviler Ungehorsam angekündigt wurde.

      1. Das ist ja die Steilvorlage für die Behörden um ihre Haltung zu begründen und so zu tun als ob auch eine Gefahr von Menschengruppen von 20 Personen eine Gefahr ausginge.

        Der Verwaltungsgerichtshof hat sich es einfach gemacht, vielleicht auch bewusst um eine Grundsätzliche Entscheidung herbeizuführen. Auch wenn der Eilantrag vielleicht abgewiesen werden würde bedeutet das nicht das im Hauptsacheverfahren anderes entschieden würde. Kommt es zu einer Grundsätzlichen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht haben es andere Verwaltungen nicht mehr so leicht mit Allgemeinverfügungen es sich einfach zu machen. In so fern hat die Stadt Gießen anderen vermutlich keinen gefallen getan. Immerhin wurde erwähnt das der adenauer srp+ vor Ort ist und diese Allgemeinverfügung umgangen hat. Aber eins muss klar sein, wird die Veranstaltung vom privaten Gelände gestört kann sie ebenfalls untersagt werden. Wie ich schon meinte das Problem sind die Bürgerrechtsunfreudlichen Polizeigesetze.

        1. „Menschengruppen von 20 Personen“, und wenn eine 21ste oder auch 221ste Person hinzukommt, dann pfeift der Schiedsrichter Foul und die AfD bekommt einen Freistoß?

        2. „Aber eins muss klar sein, wird die Veranstaltung vom privaten Gelände gestört kann sie ebenfalls untersagt werden.“

          Das letzte „sie“ meint die Störung der Veranstaltung, und das ist bei einer zulässigen Veranstaltung natürlich zwingend.

          „Wie ich schon meinte das Problem sind die Bürgerrechtsunfreudlichen Polizeigesetze.“

          Soweit ist die Bundesrepublik ein Rechtsstaat und hat kein Gesinnungsrecht. Wer das beibehalten will, darf offensichtlich leider nicht „links“ wählen.

          1. Wenn die Politik die Polizei als Prügelnaben vor schickt um Konflikte zu lösen und diese auch mit Gesetzen zu mehr Durchgriff verleiht was soll man dazu sagen? Zum Dialog zu dem alle Parteien eingeladen wurden kam die CDU nicht, vor allem aus den Lagern der Union werden die unschönen Szenen in den Vordergrund gehoben. Obwohl die überwiegende Mehrheit friedlich bisher blieb. Statistisch gibt es mehr Opfer rechter Gewalt als linke und jene die damit überhaupt kein Problem haben gründen sich in der Messehalle um weiter gegen Minderheiten zu hetzen. Merz hat sich ja mit seiner Stadtbildaussage auch nicht selbst die Hände schmutzig gemacht, die einen hetzen die anderen führen aus. Da spielt die Gesinnung keine Rolle, gerade die Union spaltet die Gesellschaft massiv und will für nichts verantwortlich sein. Niemand hat sich mit dieser AFD Veranstaltung einen gefallen getan und was da in Gießen passiert ist ein Grund das andere Städte hoffentlich schlauer sind solche Veranstaltungen abzulehnen. Man kann sich nicht auf rechte einer Verfassung berufen die man als Partei selbst beseitigen möchte. Das ist der feine Unterschied weswegen sich die AFD nicht auf diese berufen kann. Sie gilt in weiten Teilen als gesichert Rechtsextrem und da braucht die Union nicht die Tatsachen verdrehen wer hier Täter oder Opfer ist. Zudem viele ja auch der Union die Schuld geben für den Punkt an dem wir uns heute Gesellschaftlich befinden!

          2. Die Konsequenz, mit der Sie hier gegen den Rechtsstaat und für Willkür argumentieren, gibt den Hufeisenapologeten leider Recht.

            Als nächstes kommt dann Beweislastumkehr und Feindstrafrecht. Hatten wir schonmal, war Scheisse.

          3. „Man kann sich nicht auf rechte einer Verfassung berufen die man als Partei selbst beseitigen möchte.“

            Doch, genau das kann man, denn das GG beinhaltet ganz bewusst und in direkter Lehre aus der NS-Diktatur keine Ausnahmen. Im Rahmen des GG kann eine Partei lediglich verboten werden, und die AfD ist nicht verboten.

            „Das ist der feine Unterschied weswegen sich die AFD nicht auf diese berufen kann.“

            Das mag man im Rahmen einer Diskussion so sehen, im Rahmen staatlichen Handelns gilt das GG und das kennt keine Ausnahmen.

            „Sie gilt in weiten Teilen als gesichert Rechtsextrem und da braucht die Union nicht die Tatsachen verdrehen wer hier Täter oder Opfer ist.“

            Als was sie gilt, ist fuer staatliches Handeln in diesem Kontext egal. Das GG definiert den Weg zum Verbot einer Partei, bis dahin ist eine Partei eben eine Partei wie jede andere. Auch das ist eine direkte Lehre aus der NS-Diktatur, gerade „linke“ sollten das wissen.

            Vielleicht sollten Sie etwas Zeit in Gemeinschaftskunde investieren, es lohnt sich. Ich hatte das vor 40 Jahren bei einer konservativen katholischen Antifaschistin, mit der ich als sozialdemokratisch gepraegtes Arbeiterkind bei so ziemlich jedem anderen Thema ueber Kreuz lag.

  2. „Damit darf keine Versammlung – weder Demonstration noch Kundgebung, Mahnwache oder Protestcamp – auf der Westseite der Stadt Gießen und damit in der Nähe der rechtsradikalen AfD-Veranstaltung stattfinden.“

    So eine unbeschreibliche Sauerei! Hier hatte man andere Interessen verfolgt und das Recht mit Stiefel zerträten!!!

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